Die sogenannte "Zugangsvermutung" (§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO) gilt auch dann, wenn in dem betreffenden Zustellgebiet an bestimmten Werktagen keine Post zugestellt wird. Dies gilt auch dann, wenn an zwei aufeinanderfolgenden Tagen keine Postzustellung erfolgt, weil der zustellfreie Tag an einen Sonntag grenzt.
Praxis-Beispiel:
Das Finanzamt erließ am Freitag, dem 15.6.2018 den Einkommensteuerbescheid, der am selben Tag einem Postdienstleistungsunternehmen übergeben wurde. Dieses stellt im Wohnviertel der Klägerin die Post nur an maximal fünf Arbeitstagen der Woche zu. Die Klägerin war vom 2.5.2018 bis Montag, den 18.6.2018 auswärts tätig. Während dieser Zeit hatte sie eine Freundin und ihre Mutter mit der Leerung des Briefkastens betraut. Am Morgen des 19.6.2018 kehrte die Klägerin in ihre Wohnung zurück und fand in ihrem Briefkasten den Einkommensteuerbescheid vor. Noch am selben Tag übersandte sie diesen per Telefax an ihre Prozessbevollmächtigte.
Die Prozessbevollmächtigte legte am 19.7.2018 namens der Klägerin gegen den Einkommensteuerbescheid vom 15.6.2018 Einspruch ein. Das Finanzamt verwarf den Einspruch als unzulässig. Da der angefochtene Bescheid am 15.6.2018 im Wege des Zentralversands zur Post gegeben worden sei, gelte er am 18.6.2018 (Montag) als bekanntgegeben. Somit habe die Klägerin die Einspruchsfrist nicht gewahrt.
Der Bundesfinanzhof hat entschieden, dass die sogenannte "Zugangsvermutung" auch dann gilt, wenn in dem betreffenden Zustellgebiet an bestimmten Werktagen keine Post zugestellt wird. Entscheidend ist, dass die Steuerpflichtige keine hinreichend substantiierten Tatsachen vorgebracht hat, um die gesetzliche Zugangsvermutung zu widerlegen. Zwar brachte sie vor, den Bescheid erst am 19. Juni in ihrem Briefkasten vorgefunden zu haben, was jedoch angesichts der Zustellpraktiken des eingesetzten Postdienstleisters eine Zustellung am 18. Juni, dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post, nicht ausschloss. Da es für die Widerlegung der Zugangsvermutung über ein einfaches Bestreiten hinausgehen muss, sind stichhaltige Beweise erforderlich, die einen abweichenden Geschehensablauf ernsthaft plausibel machen.
Eine zeitweise oder geplante Unterbrechung der Postzustellung (z.B. keine Samstagszustellung) schließt die grundsätzliche Anwendung der gesetzlichen Dreitagesfrist nicht aus. Der BFH macht deutlich, dass Steuerpflichtige ihre Einspruchsfristen auch dann sorgfältig überwachen müssen, wenn Unsicherheiten über den genauen Zustellzeitpunkt bestehen. Der BFH bestätigte daher die Entscheidung der Finanzbehörde, den Einspruch als unzulässig zu verwerfen.
Hinweis: Die Zustellungsvermutung wurde für Verwaltungsakte, die nach dem 31.12.2024 zur Post gegeben, elektronisch übermittelt oder elektronisch zum Abruf bereitgestellt werden, geändert, sodass die Zugangsvermutung bei einer Übermittlung im Inland am vierten Tag nach der Aufgabe zur Post gilt als bekannt gegeben gilt.